Die Geschichte der Kirchenglocken von 1942 bis 1948
erstellt von Pfarrer Karl Plesch
Wie im 1. Weltkrieg so wurde auch im zweiten und zwar sehr frühzeitig die Beschlagnahme der Kirchenglocken verfügt. Sie mussten gemeldet werden und wurden je nach Kunst- und Altertumswert in vier Gruppen eingeteilt:
A B C D. Eine Glocke sollte den Gemeinden verbleiben, in der Regel die kleinste.
Anfang 1942 wurde die Abnahme der beschlagnahmten Glocken angeordnet. Nur die Gruppe D war zunächst von dieser Maßnahme ausgenommen. Von den hiesigen Glocken waren die große und kleine, die keine Jahrzahl tragen, nach dem Gutachten der Sachverständigen aber aus dem 15. Jahrhundert stammen, in die Gruppe C, die mittlere, die die Jahrzahl 1398 trägt, in die Gruppe D eingereiht worden. Letztere durfte also behalten werden.
Am Sonntag Okuli 1942, 8. März, wurde im Rahmen des Hauptgottesdienstes eine Glockenabschiedsfeier gehalten. Die zahlreich versammelte Gemeinde war sehr bewegt und es fiel ihr schwer, dass sie nun die gewohnten Stimmen nicht mehr hören sollte. Ringsum wurden an den folgenden Tagen die Glocken von den Türmen herabgeholt mit Ausnahme derjenigen von Schwand, die unangetastet blieben, weil die zuständige Stelle, die Kreishandwerkerschaft Schwabach, übersehen hatte, sie einem der mit der Abnahme beauftragten Zimmermeister zuzuteilen.
Auch für hier gelang es, wenigstens einen Aufschub zu erzielen. Der Pfarrer begab sich nach München, um mit dem Landesamt für Denkmalspflege wegen Erhaltung des geschlossenen mittelalterlichen Geläutes, das als solches doch eine wertvolle Seltenheit darstellt, zu verhandeln. Er wurde abschlägig beschieden. Auf Anraten des Landrats, der sich selbst außerstande erklärte, in der Angelegenheit etwas zu tun, wandte er sich mit einem Gesuch an das Bayer. Ministerium für Unterricht und Kultus in München. Von ihm wurde das Gesuch unter warmer Befürwortung weitergeleitet an die Reichsstelle für Metalle in Berlin. Von dort kam der Bescheid, dass man bedaure, Ausnahmen nicht zulassen zu können. Immerhin war darüber fast ein Jahr vergangen.
Am 30. Januar 1943 teilte der beauftragte Zimmermeister von Katzwang mit, dass er nun die Glocken abnehmen müsse, wenn er nicht wegen Sabotage kriegsnotwendiger Maßnahmen zur Verantwortung gezogen werden wolle. Am folgenden Sonntag, 31. Januar, wurde dies der Gemeinde bekannt gegeben und es wurde zum Ausgang und von 1 Uhr bis 1 ¼ Uhr zum Gedächtnis der Gefallenen mit allen Glocken geläutet. Das gleiche geschah am Dienstag, 2. Februar, dem Tag der Kapitulation der deutschen Armee in Stalingrad, von 10 bis 10 ½ Uhr, bevor die Abnahme erfolgte. Um 4 Uhr war die Arbeit vollendet und sie wurden auf den Glockenfriedhof, den Lagerplatz der Baufirma in Schwabach verbracht und mit ihren Geschwistern aus dem Kreis, die schon ein Jahr lang dort lagen, vereint.
4 Jahre tat nun die zurückgebliebene mittlere Glocke, die älteste, allein Dienst. Sie rief zum Gottesdienst und wurde bei allen Amtshandlungen geläutet, was übrigens im Anfang des Krieges im Interesse der Luftabwehr verboten war. Eigentlich wurde dieses Verbot nie ausdrücklich aufgehoben. Aber es geriet allmählich in Vergessenheit, ohne dass es von neuem eingeschärft worden wäre.
Als der Pfarrer am Donnerstag vor Pfingsten, 22. Mai 1947, sich zur Betstunde in die Kirche begab, bemerkte er, dass die Glocke ihren Klang verloren hatte. Beim Nachsehen zeigte es sich, dass der Klöppelgurt sich gedehnt hatte, so dass der Klöppel mit dem Hals am Glockenrand anschlug. Der Schaden wurde beseitigt, aber der Missklang blieb. Ein herbeigeholter Mechaniker stellte fest, dass die Glocke gesprungen war.
Eine Zeit lang war nun jedes Glockengeläute verstummt. Nur die Uhr kündete die Stunden noch mit Hilfe der von der Firma Riedel, Nürnberg,1943 eingebauten Ersatzgeräte. Glücklicher Weise war aber inzwischen vom Landeskirchenrat in München die Meldung eingelaufen, dass die beiden abgelieferten Glocken auf einem großen Glockenlager in Hamburg aufgefunden worden seien. Alle Glocken waren ja bei der Ablieferung mit Kennzeichen versehen worden und vorsichtshalber hatte der Pfarrer den Ortsnamen Leerstetten eingravieren lassen.
Am Donnerstag, 10. Juli 1947, traf die große Glocke ein. Sie war mit anderen per Schiff von Hamburg bis Würzburg und per Bahn von dort nach Nürnberg befördert worden. Der Bauer Johann Winter holte sie mit seinem Gespann in Kornburg, wohin sie mit Lastwagen gebracht worden war, ab. Pferde und Wagen wie auch die Glocke selbst waren mit frischem Grün geschmückt.
Am Ortseingang wurde sie von Pfarrer, Lehrer, Schuljugend, Posaunenchor, den hiesigen Kirchenvorstehern empfangen und unter Posaunenklängen vor die Kirche geleitet, wo zahlreiche Gemeindeglieder sich versammelt hatten. Dem Lied: „Lobe den Herren" folgte die Ansprache des Pfarrers. „Allein Gott in der Höh' sei Ehr" bildete den Schluss der kurzen aber eindrucksvollen Feier. Am Donnerstag, 24. Juli, wurde sie unter Mitwirkung freiwilliger Helfer mit einem Aufzug in die Glockenstube verbracht und neu montiert, während die gesprungene mittlere gleichzeitig abmontiert und herabgelassen wurde. Die Arbeit wurde geleitet von dem Zimmermeister Höllfritsch sen., Kornburg.
Am 27. Juli wurde sie im Rahmen des Hauptgottesdienstes nach einer Weiheansprache und mit Weihegebet wieder in Gebrauch genommen zur Freude der Gemeinde.
Am 3. August, IX. Sonntag nach Trinitatis, rief sie zum ersten Mal wieder die Gemeinde zum Gottesdienst.
Was sollte aus der mittleren Glocke werden, der ältesten im Bezirk? Wurde sie umgegossen, so war sie nicht mehr die alte, auf die die Gemeinde stolz ist.
Der Pfarrer hatte in Erfahrung gebracht, dass das Schweißwerk Lachenmeyer in Nördlingen ein Verfahren entwickelt habe, bei dem sich ein Umgießen erübrigt. Der Kirchenvorstand beschloss, dieser Firma die Glocke anzuvertrauen. Am 20. April 1948 wurde sie nach Nördlingen verbracht, am 24. Juli kam sie geschweißt zurück und das Verfahren hat sich bis jetzt ausgezeichnet bewährt. Sie hat wieder ihren alten schönen und weichen Klang.
Am 10. August 1948 traf auch die kleine Glocke, von Hamburg kommend, ein mit dem letzten Transport. Am Dienstag, 17. August, wurden beide Glocken auf den Turm gezogen und montiert. Am Kirchweihfest, 22. August, wurden sie wieder in Dienst gestellt, ließen zuerst einzeln, dann vereint ihre Stimmen erschallen und die Gemeinde lauschte den lange vermissten Klängen dankerfüllten Herzens. Gott gebe, dass sie endlich den Frieden einläuten dürfen.
Bei einem Besuch des Haslinger Hofes in Bad Füssing sah ich diese Deko-Seite einer Illustrierten:
Der Glockenfriedhof in Hamburg 1947. Es wurden "Gott sei Dank" nicht alle abgelieferte Glocken zerstört und eingeschmolzen - so auch die aus Leerstetten.
Schwanstetten im November 2009 / ergänzt im April 2023 und März 2024
Alfred J. Köhl