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Die Glocken der Kirche Peter und Paul in Leerstetten

Vivos voco, Mortuos plango, Fulgura frango.

Kirche Peter und Paul, Leerstetten

"Lebende rufe ich, Tote beklage ich, Blitze breche ich"
so bezeichnete einst Friedrich Schiller die Aufgabe der Kirchenglocken. Er stellte diesen Satz - der als Inschrift auf der großen Glocke des Münsters zu Schaffhausen bekannt ist - als Motto seinem Monumentalgedicht „Das Lied von der Glocke" voraus.

 

Zur Zeit der Beschaffung der Glocken war das Läuten zum Blitze abwehren (für das der Mesner extra bezahlt wurde) eine wichtige Funktion. Ebenso glaubte man, daß Geister und Dämonen, vom Lärm der Glocken erschreckt, das Weite suchen und den im Klangbereich des Geläutes liegenden Ort in Ruhe lassen.

 

Wollen wir die Glocken sehen - zu hören sind sie ja im gesamten Ort - als 1/4 Stundenschlag die Kleine und als Stundenschlag die Große - müssen wir schon den 47 Meter hohen Kirchturm erklimmen.

 

 

Tonnengewölbe von oben gesehen

Auf dem Weg über die Empore führt dann neben der Orgel eine Treppe zum Innenraum des Kirchendaches. Am Tonnengewölbe der Kirchendecke vorbei kommt man zum Treppenaufstieg des Turmes. Hier in einer Höhe von 15 Meter über dem Altar beginnt nun der eigentliche Aufstieg zu den Glocken.


 

 

 

Stiege zur Glockenstube

 

 

 

 

 

Wenn man diese „Stiege" emporklettert erreicht man die Glockenstube: einen Raum von 8 x 8 Metern und einer lichten Höhe von 4 Meter.

 

 

 

 

Hier hängen die Glocken des Leerstettener Geläutes:

 

Glockenstuhl

1925 hat der Wassermungenauer Lehrer, Kantor und Glockensachverständige F. Fröhlich eine Beschreibung der seit alters her drei Glocken verfasst und ihren Klang bewertet.

 

Die große Glocke.

 

AVE MARIA GRACIA PLENA DOMINVS TECVM BENEDICTA TV IN MVLIERIBVS ET
(Gegrüßet seiest Du Maria, der Herr ist mit Dir, Du bist gebenedeit unter den Frauen und...)

 

Die große Glocke

 

Die Engelgrußinschrift läuft in einer einzigen Zeile rings um den Glockenhals. Sie besteht aus gotischen Minuskeln, welche 3 cm hoch sind. Ein Doppelreifen mit aufgesetztem Zahnschnitt trennt die Inschrift von der Glockenhaube, ein glatter Reifen mit einem sauber ausgeführten gotischen Ornament darunter grenzt sie von der Glockenflanke ab. Der Gußbefund ist sehr gut. Schlagton „h1".

Größter Durchmesser 0,96 m. Gewicht schätzungsweise 11 Zentner. Der Glocke fehlt der zuverlässige Altersnachweis. Sie gehört dem Zeitabschnitt von 1400-1550 an, dem Blütezeitalter der Glockengießerkunst. Ihr Meister war höchstwahrscheinlich ein Nürnberger Glockengießer. Möglicherweise wurde die Glocke im Jahr 1494 gegossen, als Leerstetten selbständige Pfarrei wurde.

 

 

 

Die mittlere Glocke.
 

ANNO DOMINI MILESIMO CCC LXXXXVIII AVE MARIA GRACIA PLENA DOMINVS TC
(Anno Domini 1398, Gegrüßt seiest Du Maria voller Gnaden, der Herr ist mit Dir)

 

Die mittlere Glocke

 

Auch die Inschrift dieser Marienglocke läuft in einer einzigen Zeile um den Glockenhals. Die gotischen Minuskeln sind 2 cm hoch. Die Worte sind teils durch kleine Glöckchen, teils durch Rosetten voneinander getrennt, je 2 glatte, unverzierte Reifen begrenzen die Inschrift nach oben und unten. Das erste N des Wortes ANNO ist beim Guß der Glocke mißlungen, sonst ist aber auch bei dieser Glocke der Gußbefund einwandfrei. Schlagton „d2".
 

Größter Durchmesser 0,75 m. Gewicht schätzungsweise 5 Zentner. Gußjahr 1398. Leider fehlt der Gießername. Sicherlich kommt ebenfalls ein Nürnberger Meister in Frage. Urkundlich nachweisbar waren 1391 Meister Johann Weißenburger, 1409 Meister Heinrich Grumvalt in Nürnberg als Glockengießer tätig.

 

 

 

Die kleine Glocke.

 

AVE MARIA GRACIA PLENA DOMINVS TECVM
(Gegrüßet seiest Du Maria voller Gnaden, der Herr ist mit Dir)

Die kleine Glocke

 

Die Glocke ist gleichaltrig mit der großen Glocke. Sie ist in gußtechnischer Hinsicht das Abbild der großen. Es dürfte wohl kei­nem Zweifel unterliegen, daß beide Glocken von einem Meister stammen. Schlagton „fis2".

 

Größter Durchmesser 0,64 m. Gewicht schätzungsweise 3 Zentner. Ton-, Maß- und Gewichtsverhältnisse bestätigen obige Behauptung.

 

Die älteste der Leerstettener Glocken, 1398 gegossen, hat übrigens nicht nur lokalhistorische Bedeutung, weil sie es uns durch die eingegossene Jahreszahl ermöglicht, den zeitlichen Rahmen der Entstehung der Peter- und Paulskirche einigermaßen abzuschätzen, sie kann sich auch im Kreise der anderen alten Glocken durchaus sehen- und hören -lassen. Gerhard Bogner hat seinem umfangreichen Buch über die Bayerische Landeskirche „Also auch auf Erden" ein sorgfältig erarbeitetes Register alter Glocken auf den Türmen evangelischer Kirchen in Bayern angefügt. Danach nimmt unsere mittlere Glocke den sechsundzwanzigsten Platz ein.

 

Nicht nur die Kirchengemeinde hatte schon immer ein Auge auf ihre Glocken. Fast eine Tonne feinsten Glockenmaterials weckte natürlich auch die Begehrlichkeit der für die militärische Logistik Zuständigen. In allen großen Kriegen sind Glocken von ihren Türmen abgenommen und zu Kanonen umgeschmolzen worden. Der umgekehrte Fall, daß ein Geschützrohr zu einer Glocke umgegossen wurde, ist zwar auch belegt, dürfte aber doch äußerst selten sein. Eine allgemeine Beschlagnahme sämtlicher Glocken wurde im ersten Weltkrieg verfügt. Es ist aber nirgends ersichtlich, daß dies für das Leerstettener Geläut irgendwelche Folgerungen gehabt hätte. Es scheint noch nicht einmal ein konkreter Anspruch auf die drei Glocken erhoben worden zu sein.

Ganz so günstig verlief der zweite Weltkrieg nicht, dessen fürchterliche Materialschlachten unerhörte Mengen an Nachschub aller Art verschlangen. Zu Beginn des Jahres 1942 wurde die Abnahme der Glocken angeordnet, was dann auch am 2.Februar 1943 tatsächlich vollzogen wurde.

Doch lesen wir hierzu die Geschichte, wie sie uns Pfarrer Karl Plesch erzählt:

Bremstrommel als Glockenersatz

Während der restlichen Kriegszeit wurde ein Provisorium für den Stundenschlag eingebaut: eine Bremstrommel eines Eisenbahnwagons. Diese eifache, aber höchst wirkungsvolle Vorrichtung erzeugte Schlaglaute, die dem Anschlag des Hammers an den Glockenrand an Lautstärke und Klang kaum nachstanden. Davon kann man sich auch heute noch überzeugen.

 

 

 

 

Wenn man von hier oben aus den Schallöffnungen hinausblickt zeigt sich ein grandioser Blick über Leerstetten:

Blick nach Süden:

Blick nach Süden

Blick nach Nord-Ost:

Blick nach Nord-Ost

Hier konnten die „Läutebuben" sehen wenn ein Trauerzug aus Großschwarzenlohe zur Beerdigung nach Leerstetten in Sichtweite kam. Dann erfüllten sie den Auftrag der Glocken: die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich! Großschwarzenlohe gehörte bis 1982 zur Kirchengemeinde Leerstetten.

Blick nach Nord-West:

Bick nach Nord-West


 Quellen und Literatur: Markt Schwanstetten: 800 Jahre Leerstetten, 1994

Führung zum Glockenturm, ev. Kirchengemeinde Leerstetten.

Bedanken möchten wir uns bei Herrn Klaus Alter, Schwabach, der uns die Tonaufnahmen der Kirchenglocken zur Verfügung gestellt hat.

Schwanstetten im November 2009/Dezember 2010

Alfred J. Köhl

Kirche im Schnee