Worte zum Nachdenken
Keine Frage, die Personengruppe mit der hoch oben schwebenden Taube stellt die Heilige Dreifaltigkeit mit der Gottesmutter Maria dar. Für mich besteht kein Zweifel, bin ich doch in unserem christlich abendländischen Kulturkreis aufgewachsen. Bei dieser sekundenschnellen Einordnung in ein Schema wird mir klar, wie stark die Prägung, die stille Übereinkunft, der Konsens unserer christlichen Erziehung ist. In unserer modernen Computersprache würde man sagen, wir sind 'programmiert". Doch uns Menschen unterscheidet gottseidank etwas Wesentliches vom Computer. Wir können hinterfragen, wir sind in der Lage, jederzeit eine Codierung zu verlassen. Ich stelle mir einen Angehörigen eines anderen Kulturkreises vor, der noch nie von ..einem Gott in drei Personen" und der Gottesmutter Maria gehört hat. Ich will versuchen, mit diesen unbefangenen Augen zu sehen.
Möglicherweise interpretiert dieser Andersgläubige die Personengruppe als Herrscherfamilie, erkennbar an der Würde und Majestät, an den prächtigen Gewändern und an der Krone Mariens. Vielleicht deutet er die Taube mit dem leuchtenden Gestirn im Hintergrund als Gottheit.
Begeben wir uns zurück in unser christliches Programm und drehen das Zeitrad um etwa 500 Jahre zurück. Wir wollen das Zeitrad in dem Moment anhalten, als der Künstler, der Meister, unterstützt von seinen Gesellen, an dieser Dreifaltigkeits Darstellung arbeitete. In der Werkstatt riecht es nach Farbe und Leim, Werkzeug liegt herum, Holzspäne ringeln sich zu lockenartigen Gebilden, man hört ein schabendes Geräusch, wenn das Lindenholz bearbeitet wird. Der älteste Geselle reibt seinen schmerzenden Rücken, das Gespräch dreht sich um die steigenden Brotpreise nach der Mißernte. `Schon wieder ist der Laib Brot drei Kreuzer teurer geworden", wirft der jüngste Lehrbub, ein Bursche von dreizehn Jahren, ein. Der Meister, ein angesehener Bürger mit Bart und einer tiefen, autoritätgebietenden Stimme, treibt die Gesellen zur Eile an. Bis Johanni muß das Werk fertig sein, so ist es mit Seiner Excellenz, dem Bischof von Eichstätt, vereinbart , und es warten schon neue Aufträge, eine Pietä, die ein adeliger Herr in seiner Hauskapelle aufstellen möchte. Und die Äbtissin des nahen Klosters hat einen "Kreuzweg" bestellt. Acht hungrige kleine Mäuler hat der Meister zu stopfen, seine Ehefrau braucht ein neues Festtagsgewand, fünf Gesellen und zwei Lehrbuben, seine unverheiratete Schwester, die betagten Eltern und zwei Mägde wollen verköstigt sein. Die Abendsonne steht schon tief, doch erst, als es vom Kirchturm acht Uhr schlägt, ruft der Meister das erlösende Wort "Feierabend". Mag sein, daß die Figur von Gottvater eine Art Selbstdarstellung des Bildschnitzers ist, wie etwa Dürers Selbstbildnis mit unverkennbarer Christusphysiognomie. Mag sein, daß die Christusfigur die Gesichtszüge eines der Gesellen oder eines Verwandten trägt und die Marienfigur große Ähnlichkeit mit seiner frommen, stillen Ehefrau aufweist. Doch die meisterhafte Darstellung der Gesichter macht noch kein Kunstwerk aus dieser Skulptur. Wie es dem Meister gelungen ist, Würde, Majestät, Sammlung, Macht und Weisheit, Innigkeit und liebende Verbundenheit, Harmonie und göttliche Vollkommenheit in diese Personengruppe zu projizieren, bleibt sein Künstlergeheimnis; ein Mysterium, das in seiner schöpferischen Begabung wurzelt und ein Geschenk des göttlichen Schöpfers selbst ist, der Seine Schöpferkraft in einzelnen Menschen offenbart, seien es nun Maler, Bildhauer, Musiker oder Dichter.
Und doch - wie begrenzt ist ein menschlicher Schöpfergeist! Wir Menschen brauchen Formen, um etwas auszudrücken. Hier haben wir drei menschliche Gestalten und eine Tiergestalt in naturgetreuer Abbildung vor uns. Moderne Künstler wählen abstrakte Formen, aber es sind noch Formen. Kann man, darf man Gott eine Form, eine Gestalt geben? Gott, der unsichtbar ist? Eindeutig ist die biblische Forderung Jahwes: "Du sollst dir kein Bildnis machen!" Es mag eine Zeit gekommen sein, als bei der Verkündigung des Evangeliums das Wort Gottes auch das Wort ist ja eine Form des Ausdrucks nicht mehr ausreichte, um Angehörigen fremder Kulturen und Sprachen den Gott des Christentums anschaulich genug darzustellen. So wird man dazu übergegangen sein, Gott in Bildern und Symbolen zu veranschaulichen, dem Sinnesorgan Auge Anschauungsunterricht zu geben. Dazu kam die Tatsache, daß bis in die Neuzeit hinein die meisten Menschen nicht lesen konnten. Ich bin überzeugt, daß Gott diese Brücke in unserer menschlichen Vorstellungskraft akzeptiert, wenn sie nur zum Ausdruck einer Idee von Gott beiträgt. Nicht die Figuren als solche sollen angebetet werden, sondern Gott, der Unsichtbare.
Wie alle Worte der Heiligen Schrift auch nur eine Brücke zu Gott sein können, so stelle ich mir vor, sind auch Bilder und Symbole nur eine Brücke, ein Weg zu Ihm. Kehren wir zurück zu unserer Darstellung der Heiligsten Dreifaltigkeit mit der Himmelskönigin Maria. E i n Gott in d r e i Personen. Wer je ernsthaft über diese Aussage nachgedacht hat und nicht einfach das katholische Glaubensbekenntnis gedankenlos nachspricht spürt, welch eine ungeheure Zumutung diese Glaubensaussage für die menschliche Vorstellung darstellt. Wie kann e i n Gott gleichzeitig d r e i Personen sein? Überdies zählt sich das Christentum zu den drei monotheistischen Weltreligionen; Religionen, die e i n e n Gott verehren. Der Mensch hilft sich mit einer geometrischen Figur, dem Dreieck, das e i n e Figur ist, aber drei geometrische Winkel hat. Gerne bemüht man auch das Bild der Familie man baut sich eine Brücke e i n e Familie besteht bekanntlich aus mehreren Personen. Oder bleiben wir beim Begriff "Heiligste Dreifaltigkeit". Er enthält das Wort 'Falten'. Hier können wir das Symbol des Gewandes, das drei Falten hat, wählen. Und doch sind dies so unvollkommene Vorstellungsmuster, daß Gott bei unseren hilflosen Versuchen schmunzeln dürfte.
Was mich besonders bei dieser Darstellung der Heiligsten Dreifaltigkeit beeindruckt ist die innige Verbindung der Personen, die man auch in eine gedachte Dreieckkonstellation setzen kann. Hier berühren sich Göttliches und Menschliches auf wunderbare Weise; gekrönt und gleichsam befruchtet wird diese Gruppe vom Heiligen Geist, vom göttlichen Geist der Liebe. Tröster, Beistand wird der Heilige Geist auch genannt. Wer im Geist Gottes lebt, darf auf Gottes Trost hoffen. Gott ist mit ihm. Nie ist der Gläubige trostlos. Doch der Heilige Geist in Gestalt einer Taube birgt noch eine andere Botschaft. Die Taube gilt seit jeher als Friedenssymbol. Der Heilige Geist ist ein Geist des Friedens. Frieden stiften und Frieden bewahren ist ein Auftrag Gottes. Friede setzt Bereitschaft zu Kompromissen und Versöhnungsbereitschaft voraus. Der Gruß Christi "Friede sei mit euch" mag uns den rechten Weg weisen. In unserer Darstellung der Heiligsten Dreifaltigkeit hält Christus die Weltkugel in der Hand. Ich vertraue dieser Hand, die die Welt und auch mich hält; eine Hand, die mich führt und leitet, ein Leben lang. Christus ist durch seine Menschwerdung unser Bruder geworden. Er, der Sohn Gottes, erniedrigte sich, nahm Menschengestalt an. Freiwillig nahm er den Kreuzestod auf sich, um uns zu erlösen. Er ging seinen Leidensweg aus Liebe zu uns Menschen. Aus der Geste der Hand Gottvaters könnte man geneigt sein anzunehmen, daß diese Hand einst ein Szepter hielt, das Symbol der Herrschaft. Würde, Weisheit und göttliche Gelassenheit strahlt diese Figuraus.
Beim Betrachten wird mir bewußt, welch große Gnade es ist, ein Kind Gottes sein zu dürfen: Gott zum Vater zu haben, den Allmächtigen, den weisen Schöpfer, Gott, der uns mit Seiner Liebe überschüttet, der uns in Seiner großen Güte immer wieder verzeiht und uns annimmt in all unserer menschlichen Unvollkommenheit. Wer schon von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht wurde, wird vermutlich auch mit seinem Gott gerungen haben, wird Ihn angeklagt haben wie einst Hiob und Ihm ein verzweifeltes Warum entgegengeschleudert haben. Ein Warum, auf das es keine Antwort gibt. Oder darf man einen Satz aus der vierten Rede Elihus als Gottes Antwort verstehen? "Den Geplagten rettet Gott durch seine Plage." (Hiob, 36,15)
Wem Gott die Gnade erweist, einen schmerzlichen Leidensprozeß bis zum Ende zu gehen, ist gerettet. Am Ende steht das stille Einverständnis in den unbegreiflichen Willen Gottes. Maria. Ein Name wie Musik. In Anbetung versunken, den Blick nach innen gerichtet. Als sei sie in einer Art Trance, kniet die Muttergottes in großer Demut. Die Krone weist sie als Himmelskönigin aus. Beim Anblick dieser innig Betenden stellt sich rasch Stille und Sammlung ein. Maria lehrt uns beten. Alle Sorgen, alle Probleme dürfen wir getrost unserer himmlischen Mutter anvertrauen und um ihre Hilfe bitten. Wir dürfen sie als christliches Vorbild verehren und bitten, sie möge uns im Streben nach Vollkommenheit bestärken. Auf dem Meer des Lebens leuchtet sie uns wie ein Stern, wie es in dem Lied "Meerstern, ich dich grüße" heißt. Sterne dienen der Orientierung. An Maria, dem leuchtenden Stern, können wir uns orientieren, unser Leben ausrichten. Jetzt ist mir diese Skulptur "Heiligste Dreifaltigkeit mit Maria" in unserer Kirche, die der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht ist, vertraut geworden. Dankbar gedenke ich des unbekannten Künstlers, der sie so ausdrucksstark geschaffen hat. Meine Dankbarkeit gilt aber auch Herrn Pfarrer Thomas Beutler, der mich zu diesem Thema angeregt hat. Große Kunstwerke sprechen in der Stille der Betrachtung zu uns, wenn wir uns intensiv auf ein "Gespräch" einlassen.
28. Juni 1998 Ingeborg Höverkamp