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Daß Gott erbarm! Leerstetten zwischen Sorg und Harm

Von Pfarrer Karl Ernst Plesch (1879 - 1963)

von 1925 bis 1949 Pfarrer in Leerstetten)

 

Karl PleschIn einem Gedicht auf den 80. Geburtstag ihres Vaters hat die Tochter des früheren Leerstettener Pfarrers Karl Plesch, Frau Ilse Bader die obigen Zeilen gereimt. Wohl zu kaum einer Zeit seiner Geschichte, den Dreißigjährigen Krieg ausgenommen, hatte unser Dorf das Erbarmen Gottes so nötig und lag es - jetzt freilich nicht geographisch gedacht - so sehr zwischen Sorg und Harm als in der Zeit des zweiten Weltkrieges. Pfarrer Karl Plesch hat eine Kriegschronik verfaßt, die hier erstmals veröffentlicht werden soll.

Einige von ihm vorgenommene Abkürzungen sind der besseren Lesbarkeit wegen ausgeschrieben, wenige offensichtliche Schreibfehler sind berichtigt, ohne daß dies alles besonders gekennzeichnet wäre. Darüber hinaus ist der Text unverändert übernommen.

Das (in ein Schulheft handgeschriebene) Tagebuch ist Bestandteil des Archivs des Evang.-Luth. Pfarramts Leerstetten.

Diese Vorbemerkungen schrieb Pfarrer i.R. Klaus Fohrn bei seiner Veröffentlichung in „800 Jahre Leerstetten"

Aus dieser Quelle entnommen hier also erneut das:

 

Kriegstagebuch des Pfarrers Karl Plesch:

 

1938

Die Entwicklung der sudetendeutschen Frage wurde hier mit Spannung verfolgt. Während der kritischen Zeit 23. IX. bis 24. X. war zum Schutz gegen Angriffe aus der Luft ein Ring von Flakbatterien um die Stadt der Reichsparteitage gezogen. In Leerstetten war eine Scheinwerferabteilung stationiert. Die Soldaten waren in der Ortschaft einquartiert. Auch im Pfarrhaus lagen zwei Mann im Quartier. Der Scheinwerfer war in der Wiese links von der Straße nach Großschwarzenlohe aufgebaut.

Die Lösung der Frage durch die Konferenz der leitenden Staatsmänner in München wurde mit Freuden begrüßt. Am 2. Oktober wurde Dankgottesdienst für die Erhaltung des Friedens abgehalten um 9 h hier in der Kirche, um 1/4 11 h in Großschwarzenlohe im Gasthaus Müller, weil die Einwohner dieser Ortschaft wegen der dort herrschenden Maul- und Klauenseuche die hiesige Kirche eine Zeit lang nicht besuchen durften. Aus dem gleichen Grunde mußte das Erntedankfest auf einen späteren Termin verlegt werden.

 

1939.

Der Einmarsch in die Tschechoslowakei und die Errichtung eines Protektorats Böhmen wurde von den besonnenen Elementen mit gemischten Gefühlen aufgenommen, wie schon 1 Jahr vorher die Angliederung Österreichs als Ostmark, weil man die Kriegsgefahr wieder näher rücken sah. Von der Jugend und den unter dem Einfluß der Partei stehenden Elementen wurden diese „Taten des Führers" stürmisch bejubelt.

27. VIII. Kirchweihfest. Die Spannung mit Polen hat ihren Höhepunkt erreicht. Die Kirchweih wird zwar noch in der üblichen Weise gefeiert, aber es herrscht eine gedrückte Stimmung. Die ersten Einberufungen zur Wehrmacht sind eingetroffen und jedermann beeilt sich, mit den voraussichtlich der Beschlagnahme verfallenden Artikeln sich einzudecken: Kleiderstoffen, Schuhwerk, Mehl, Zucker.

1. September: Die Befürchtungen, daß der Krieg vor der Türe steht, bestätigt sich durch den Einmarsch in polnisches Gebiet. Die Vorspiegelung, daß der Angriff von Polen ausgeht, findet bei harmlosen Gemütern Glauben.

3. September: Die Kriegserklärung Englands und Frankreichs ruft Bestürzung hervor. Die Leute hatten gehofft, diese beiden Staaten würden wie bisher so auch diesmal mit verschränkten Armen zusehen und sich mit papierenen Protesten begnügen. Wer die fortgesetzten Beschwörungen aus London, Deutschland solle doch die Hände von Polen lassen, sonst müsse und werde England eingreifen, im Radio gehört hatte, war nicht überrascht. Im Übrigen bewegte der kurze Feldzug gegen Polen die Gemüter nicht allzu sehr, zumal er die Gemeinde keine Opfer kostete, nicht einmal einen Verwundeten. Das Urteil, das man auch aus Frauenmund hören konnte lautete: Wir haben uns wieder geholt, was uns gehört hat. Und das war unser gutes Recht. Die Soldaten, die nach dem Feldzug auf Urlaub kamen, wunderten sich, daß nicht alle restlos begeistert waren von dem glänzenden Sieg und daß es noch Leute gab, die sich Bedenken machten. Sie selbst sahen mit großer Zuversicht den kommenden Dingen entgegen.

1940.

Die Tatsache, daß die Westmächte nichts Ernsthaftes unternommen hatten, um Polen zu Hilfe zu kommen und die lange Kampfpause, die nach dem Polenfeldzug eintrat, erweckte in weiten Kreisen den Glauben, es werde überhaupt nicht mehr zu ernsten Zusammenstößen kommen, sondern ein Weg zur Einigung gefunden werden. Um so mehr war man überrascht, als am 10. April die Besetzung Dänemarks und der Angriff auf Norwegen gemeldet wurden.

20. April: Auf Anordnung müssen von 12-12 1/4 Uhr aus Anlaß des Geburtstages des „Führers" und Reichskanzlers die Glocken geläutet werden.

10. Mai: Angriff auf Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich.

14. Juni: Einmarsch in Paris. Einmaliges Glockengeläute und Beflaggung für 3 Tage ist befohlen.

25. Juni: Abschluß des Waffenstillstandes mit Frankreich. Eine Woche muß beflaggt und täglich müssen während dieser Woche 1/4 Stunde die Glocken geläutet werden.

 

30. Juni, VI. Sonntag nach Trinitatis: Dankgottesdienst für den Sieg über Frankreich. Kriegerverein mit Fahne und Feuerwehr ziehen geschlossen zur Kirche.

Nachmittags 2 Uhr: Der erste Trauergottesdienst wird gehalten für den in Frankreich durch eine verirrte Maschinengewehrkugel gefallenen Hans Müller Hs.-Nr. 6, einen sehr begabten und tüchtigen jungen Mann. Außer Kriegerverein und Feuerwehr beteiligte sich auch die SA (Sturm-Abteilung) am Zug zur Kirche.

September: Die Luftangriffe auf London und englische Industriezentren erwecken die Hoffnung, daß England von der Luft aus mürbe gemacht werden kann.

Die rasche Niederwerfung Frankreichs, das Aufbrechen und die Zerschlagung der starken Befestigungen an der französischen Ostgrenze, der Maginotlinie, die erfolgreichen Luftangriffe auf England, das alles trägt dazu bei, das Volk zu bestärken im Glauben an die Unwiderstehlichkeit der deutschen Wehrmacht und an die Unfehlbarkeit des „Führers". Auch solche, die ihm bisher skeptisch gegenüberstanden, gehen mit fliegenden Fahnen zu ihm über und übertreffen nun seine alten Anhänger an Gläubigkeit und bedingungsloser Gefolgschaftstreue.

1941.

Juni: Neue Überraschung: Krieg gegen Rußland eröffnet. Schon nach 4 Wochen meldet der Wehrmachtsbericht, daß die Widerstandskraft der russischen Armee gebrochen ist. Optimisten glauben, daß Rußland in einem Vierteljahr auf die Knie gezwungen sein wird.
O sancta simplicitas! Wie schwer sollten sie sich täuschen!

19. September: Aufgrund Vereinbarung mit den benachbarten Pfarrern wird das übliche Läuten zum Gebet, zu den Gottesdiensten und Amtshandlungen wiederaufgenommen.

13. Oktober: Früh ¼ 1 - 2 Uhr Luftangriff auf Schwabach, dem u.a. das 2. Pfarrhaus dortselbst zum Opfer fällt, wobei 2 Kinder des Pfarrers Siebenbürger den Tod finden. Die ganze Bevölkerung des hiesigen Ortes steht auf der Straße und sieht dem Schauspiel zu, nicht ahnend, welcher Gefahr sie sich damit aussetzt. Am Tage strömen von allen Seiten viele Menschen nach Schwabach, um den angerichteten Schaden sich anzusehen. Sie sind aufs tiefste beeindruckt. Am 16. Oktober findet die Beisetzung der 11 Todesopfer statt. Der Parteifeier vor dem Waldfriedhof folgt die kirchliche Feier, die von Dekan Stoll gehalten wird.

4 Kriegsopfer hat die Gemeinde in diesem Jahr zu beklagen. Hans Meyer, ein Familienvater, ist in Caen/Frankreich einer Blutvergiftung erlegen. 2 Soldaten, Hans Meyer, Furth Hs.-Nr. 5 und Michael Winkler, Leerstetten, sind im Osten gefallen. Matthias Müller, Leerstetten Nr. 8, erlag in Dresden einer im Osten erlittenen Verwundung und wurde hier bestattet, wobei ein Zug der Nachrichtenabteilung Schwabach unter Führung eines Leutnants die militärischen Ehren erwies.

1942.

Der Krieg macht sich immer schwerer fühlbar. Infolge der fortgesetzten Einberufungen mangelt es an Arbeitskräften. Frauen und Kinder müssen die Arbeit des eingezogenen Vaters, Schwestern die Arbeit der eingezogenen Brüder mit übernehmen. Es werden ausländische Arbeitskräfte zugewiesen: Polen, Ukrainerinnen, französische Kriegsgefangene, die von den Arbeitgebern verpflegt, hier im ehemaligen Hirtenhause, in Großschwarzenlohe in einer Baracke des Maurermeisters Bierlein untergebracht und von einem Posten bewacht werden, der aber später zurückgezogen wird. Die Ausländer werden im Allgemeinen gut behandelt. Sie dürfen am Tisch mitessen, entgegen dem Verbot und wie Dienstboten zur Familie gerechnet. Dafür tun sie gerne und im allgemeinen fleißig die ihnen zugewiesene Arbeit. Nur einmal erscheint infolge einer Denunziation Polizei und verprügelt die Polen, weil sie am Abend zu lange beieinander bleiben und zu spät nach Hause kommen. 2 Polen, einer hier, einer in Schwand, sterben, andere erkranken schwer nach dem Genuß von Methylalkohol. Die Polen gehen in die katholische Kirche nach Wendelstein. Ebenso ein Teil der Ukrainerinnen, ein anderer Teil ist infolge der antikirchlichen Propaganda in der Heimat religionslos. Eine Ukrainerin wird von einem Franzosen schwanger. Er nimmt sie nach Kriegsschluß mit nach Frankreich und schreibt später, daß er mit seiner Natascha schon drei Kinder gezeugt habe. Zwei Polen nehmen hier ziemlich regelmäßig am evangelischen Gottesdienst teil. Die anderen Ausländer betreten die hiesige Kirche nicht. Es befindet sich kein Evangelischer unter ihnen.

Von Köln und Wien werden Kinder zur Erholung in unsere Gemeinde geschickt. Die Kölner - unter ihnen auch evangelische -gewöhnen sich gut ein, weniger gut die Wiener, die wesentlich anspruchsvoller sind.

Dieses Jahr forderte schwere Blutopfer von der Gemeinde: 9 an der Zahl, 6 von Leerstetten, 2 von Großschwarzenlohe, 1 von Furth. Ein Trauergottesdienst folgte dem anderen.

1943.

2. Februar: Abnahme der großen und kleinen Glocke durch Zimmermeister Meister aus Katzwang. Ende des Kampfes um Stalingrad. Mehrere Gemeindeglieder sind beteiligt: Konrad Abraham, Großschwarzenlohe; Hans Sichermann und Stefan Lades, Furth. Die Angehörigen sind in großer Sorge, da es im Wehrmachtsbericht heißt, die Armee Paulus habe bis zum letzten Mann Widerstand geleistet. Die Siegeshoffnungen der größten Optimisten sind gedämpft. Man kann sie sagen hören: Wir werden froh sein dürfen, wenn wir mit einem blauen Auge davon kommen.

8. März: Großangriff auf Nürnberg. Der Wald gegen Sperberslohe muß abgesucht werden. Es werden viele Brandbomben gefunden, teils ausgebrannt, teils noch intakt. Letztere werden von Sachverständigen unschädlich gemacht. Der „Siedel" ist mit Brandbomben gespickt. Dort ist auch eine Sprengbombe gefallen und hat einen großen Trichter gerissen. Sie mag dem bei Raubersried aufgestellten Scheinwerfer gegolten haben. Dichter hinter Großschwarzenlohe Richtung Sorg gehen mehrere Sprengbomben nieder, darunter ein Zeitzünder, der erst nach Tagen mitten in der Nacht explodiert. Glücklicherweise in der Nacht! Denn was hätte geschehen können, wenn die Explosion am Tage erfolgt wäre, wo viele Menschen auf und ab gingen, um die Trichter zu besichtigen!

Die Erichmühle wurde von 2 Brandbomben getroffen, von denen eine am Dach abprallte und ins Wasser fiel, die andere das Dach durchschlug und in dem aufgeschütteten Getreide stecken blieb ohne zu explodieren. Eine gnädige Bewahrung! Aber der Angriff sollte doch noch ein Todesopfer fordern. Am Sonntag Lätare, 4. April, fanden Kinder von Großschwarzenlohe einen intakten Phosphorkanister. Sie schlugen so lange mit einem Stein, bis er explodierte. Der Feuerstrahl setzte einen 18 m entfernten Stockholzstoß in Brand und fügte zwei Knaben, Hans Herzog und Konrad Zeh, schwere Verbrennungen zu. Letzerer kam mit dem Leben davon, ersterer starb an den erlittenen Brandwunden im Kreiskrankenhaus Schwabach und wurde am 13. April hier beerdigt. Auch in Furth fiel ein andes Mal dicht bei der Ortschaft am Wege nach Schwand eine Sprengbombe, ohne Schaden anzurichten.

Die Mannschaft des vor Großschwarzenlohe links der Straße installierten Scheinwerfers wurde von leichtfertigen Mädchen umschwärmt. 2 Mädchen von Großschwarzenlohe bekamen Kinder von Soldaten dieses Scheinwerfers. In einem Fall war der Vater ein Ehemann.

Die Luftangriffe auf Nürnberg häufen und verstärken sich im Laufe des Jahres. Die Zerstörungen werden immer größer. Nach den Angriffen vom 11. und 27. August suchen zahlreiche Ausgebombte namentlich aus dem total zerstörten Nürnberg/Wöhrd hier, in Großschwarzenlohe und Furth, Zuflucht. Auch im Pfarrhause werden von der Kreisamtsleitung NSV Schwabach 2 Zimmer beschlagnahmt und mit einer 7köpfigen Familie aus Kiel, die sich in Nürnberg bei Verwandten aufgehalten hatte und der es dort unheimlich geworden war, belegt. Freiwillig wurde ihr ein 3. Zimmer zur Verfügung gestellt. Trotzdem nahm sie keine Rücksicht und wollte sich durchaus nicht an die aufgestellte Ordnung fügen. Sie ging so weit, daß sie der Pfarrfamilie den durch das freiwillig abgetretene und als Küche benützte Zimmerführenden Zugang zum Bad verwehrte, das sie selbst reichlich benützte; nicht nur zum Baden, sondern auch zum Windelwaschen, wobei sie es fertig brachte, den Badeofen durch unsachliche Behandlung zu ruinieren. Erhob man Vorstellungen, so wurde man mit dem KZ (Konzentrationslager) bedroht. Bei dem Kreisamtsleiter NSV Pfannschmidt fand der Pfarrer keinerlei, die Familie jede Unterstützung. Ja, der Mann, angeblich Innenarchitekt und Leutnant bei der Wehrmacht, gab zu, man habe ihnen bei der Kreisamtsleitung zu verstehen gegeben, sie sollen dem Pfarrer das Leben so sauer wie möglich machen. Man konnte es dort nicht vergessen, daß der Pfarrer bei der versuchten Besitzergreifung des Kindergartens in Kornburg der NSV energisch entgegengetreten war und wollte sich dafür rächen. Die Pfarrfamilie atmete auf, als diese Familie das Haus verließ, um nach Kiel zurückzukehren, weil sie sonst ihre dortige Wohnung verloren hätte.

Die Nachfolgerwaren zunächst froh und dankbar, eine so schöne Wohnung zu finden. Aber die gebotene Rücksichtnahme ließen auch sie vermissen. Daß der Pfarrer auch zu arbeiten hat und daß er für seine Arbeit Ruhe braucht, geht eben den Leuten schwer ein.

Für 3 Kriegsopfer mußte in diesem Jahr Trauergottesdienst gehalten werden, 2 von Leerstetten, 1 von Großschwarzenlohe.

1944.

Auf allen Fronten müssen die Deutschen zurückweichen. Der Ring um Deutschland schließt sich immer enger. Immer früher werden die jungen Leute zum Arbeitsdienst eingezogen, in die Wehrmacht gesteckt und nach kurzer Ausbildung, fast noch Kinder, an die Front geschickt.

Der Volkssturm wird gebildet. Auch hier in Leerstetten wird ein Zug aufgestellt unter Führung von Hans Müller Hs.-Nr. 6. Er nimmt Rücksicht auf die kirchlichen Belange und vermeidet es nach Möglichkeit, während der Zeit des Gottesdienstes Übungen anzusetzen, was anderwärts mit Vorliebe geschieht. Während die Front blutet, blüht im Lande der Schwarzhandel ungeachtet der strengen Strafen, mit denen er bedroht ist. Hier ist es vor allem der Tabak, mit dem Geschäfte gemacht werden, schon während des Krieges, mehr aber noch in den folgenden Jahren. Stoffe, Schuhe, Leder, Gardinen, alles, was sich der Bauer wünscht, kann er um Tabak haben. Die hiesige Ware ist besonders gesucht, weil es sich um röhrengetrockneten Tabak handelt.

4 junge Leute mußten noch in diesem Jahr ihr Leben lassen, 3 von Leerstetten, darunter der einzige Sohn des Pfarres, 1 von Großschwarzenlohe, dessen Tod aber erst 1946 gemeldet wurde. Immer größer wird auch die Zahl derer, von denen keine Nachricht mehr eintrifft, weil sie in Gefangenschaft geraten sind.

1945.

Längst ist der Luftschutz auch auf dem Lande besser organisiert. Die Verdunkelung wird streng durchgeführt. Auf den Dachböden sind Kisten mit Sand aufgestellt. Wasser und Handspritzen stehen bereit. So ziemlich jedermann ist mit Gasmaske versehen. Im Pfarrhaus ist die Vorkeller- und Weinkellerdecke mit starken Balken abgestützt, das Fenster gegen den Garten hin mit einer Stahlblende gegen Bombensplitter gesichert.

Nächtlich halten 2 Männer Wache. Auch der Pfarrer beteiligt sich und patrouilliert, wenn er an der Reihe ist, mit dem Nachbarn Wild, der schon die 70 überschritten hat und schwerhörig ist, durch die Straßen und Gassen des Ortes. Ertönt in der Umgebung, in Nürnberg, Schwabach, Wendelstein Alarm, so wird auch hier von den Wachmännern Alarm gegeben. Zuerst geschah dies mit einer Handsirene, später mit einer elektrisch betriebenen Sirene, die an dem Haus des Bauern Heinrich Müller Hs.-Nr. 8 angebracht ist. Außer der Feuerwehr bleibt niemand mehr im Freien. Jedermann beeilt sich, den Luftschutzkeller aufzusuchen oder den Bunker, den er sich gegraben hat, wenn er über einen genügend tiefen und festen Keller nicht verfügt.

Dienstag, 2. Januar abends 7 Uhr, Alarm. Die Befehlsstelle der Flugabwehr Nürnberg meldet im Rundfunk, daß feindliche Flug-zeuge der Stadt sich nähern (der Sprecher wird wegen seiner be­ruhigenden Stimme Onkel Baldrian genannt). Schon braust das erste Geschwader über die Ortschaft hinweg. Die Scheinwerfer blitzen auf, tasten den Himmel ab. Haben sie ein Flugzeug gefaßt, suchen sie es festzuhalten. Silbern schimmert es in ihrem Scheine und bemüht sich, aus ihrem Bereich zu entkommen. Flakgeschütze, die von Schülern mitbedient werden, bellen auf. Man sieht die Geschosse mehr oder minder nah dem gefaßten Flugzeug zerplatzen, sieht auch gelegentlich ein Flugzeug getroffen abstürzen. Die übrigen fliegen weiter, voraus die Erkundungsflugzeuge. Sie werfen Leuchtbomben ab, die sogenannten Christbäume, die die Punkte bezeichnen, die mit Bomben belegt werden sollen. Gewaltig dröhnen die Explosionen der schweren Bomben und Luftminen. Der Luftdruck erschüttert auch hier noch die Häuser in ihren Grundfesten, rüttelt an Fenstern und Türen und bringt Fensterscheiben zum Springen. So folgt in kurzen Abständen ein Geschwader dem anderen.

In den Zwischenpausen geht man durch das Haus bis auf den Dachboden, auch ins Freie, um nachzusehen, ob noch alles in Ordnung ist. Am Horizont zeigt sich Feuerschein, der schnell zu einem Feuermeer sich ausweitet und die Nacht erhellt. Alles in allem ein schaurig schönes Feuerwerk. Am nächsten Tag erfährt man, daß das einzigartig herrliche mittelalterliche Nürnberg zerstört ist. Niemals hätte man den Amerikanern eine solche Barbarei zugetraut, wo doch in der Altstadt keinerlei militärisch wichtige Rüstungsbetriebe vorhanden waren.

20. und 21. Februar: Starke Tagesangriffe auf Nürnberg. Am 20. von 1/2 1 Uhr bis 1/2 3 Uhr. Ein Amerikaner mit Fallschirm abgesprungen, von Volkssturmmann Konrad Volkert gefangen genommen und vom Gendarmeriekommandanten von Schwand nach Schwabach abtransportiert. Ein hiesiger Einwohner und ein Evakuierter von Nürnberg lassen sich hinreißen, in Gegenwart von französischen Kriegsgefangenen gegen den Amerikaner Dro­hungen auszustoßen. Sie werden beim Einmarsch der Amerikaner von den Franzosen denunziert, von den Amerikanern schwer mißhandelt, abgeschoben und Jahr und Tag in einem Interniertenlager festgehalten. Am 21. Februar dauert der Angriff von 11 bis 12 Uhr mittags. Eine schwere Rauchwolke wälzt sich von Nürnberg her über die Gegend, so daß es von 1 bis 2 Uhr ganz dunkel ist. Man fühlt sich erinnert an das Wort: Die Sonne verlor ihren Schein.

Zu den Löscharbeiten in Nürnberg werden auch die Landfeuerwehren aufgeboten, die über Motorspritzen verfügen. Leerstetten besitzt noch keine und bleibt darum verschont. Wohl aber wird Großschwarzenlohe, das im Besitz einer Motorspritze ist, immer wieder herangezogen.

Die Töchter des Amtsvorgängers Frl. Elise und Marga Müller flüchten am 21. II. von Nürnberg, wo Fr. Marga M. ihre Habe, die sie abholen wollte, durch den Angriff verloren hat, hierher. Sie setzen am 24. II. ihre Reise nach ihrem Wohnsitz Heidenheim a. Hahnenkamm fort. In Treuchtlingen geraten sie in einen Angriff auf den dortigen Bahnhof und Frl. Elise Müller wird durch den Luftdruck einer einschlagenden Bombe getötet.

16. März: letzter Großangriff auf Nürnberg.

Palmarum, 25. März: Von Nordwesten her, aus der Gegend von Kitzingen, Rothenburg ist fernes Geschützfeuer zu hören. Man darf aber nicht offen davon sprechen.

1. April, 1. Osterfesttag: Ausnahmsweise wird an den beiden Osterfeiertagen Beichte und Abendmahl gehalten, weil die Kampfhandlungen sich immer näher heranziehen. Der Festgot­tesdienst am 1. Feiertag nimmt wegen Fliegeralarm verspätet seinen Anfang.

6. April, Freitag: Tierflieger machen sich bemerkbar und entfalten lebhafte Tätigkeit über der Autobahn bei Sperberslohe.

Sonntag, 8. April: Konfirmation. Nach dem Vorgottesdienst Fliegeralarm. Ein Beobachter wird abgestellt, der Gottesdienst fortgesetzt und die Handlung ohne Störung zu Ende geführt.

Was sah man hier von der deutschen Armee? Etwa eine Woche vor der Ankunft der Amerikaner kam eine Abteilung junger deutscher Offiziere, unter ihnen Ritterkreuzträger, und nahm hier Quartier. Es mögen 200gewesen sein. Sie hatten in Wiesbaden einen Kurs absolviert und waren von dort bis hierher marschiert, immer den Feind auf den Fersen. Waffen hatten sie nicht. Der im Pfarrhaus einquartierte Leutnant wollte immer nur schlafen. Fast hätte er am andern Tage den Abmarsch verschlafen. Mit ihnen zog eine Abteilung Pfälzer Jungen von 15-16 Jahren, die man in Uniform gesteckt hatte. Sie marschierten in RichtungWendelstein-Feucht weiter.

Von Schwand her zogen ungarische und russische Truppen durch die Ortschaft, die auf deutscher Seite kämpfen und Nürnberg verteidigen sollten. In Großschwarzenlohe traf ich Russen im Quartier bei Georg Meyer Hs. 1. Es waren Kalmücken. Einer hatte eine Taschenuhr vor sich - woher mochte sie stammen? - und verfolgte unentwegt den Gang des Sekundenzeigers. Er hatte sichtlich eine kindliche Freude an dem Wunderwerk. Ich stellte mich als „Pope" vor, da ging ein Leuchten über ihre Züge. Einer zeigte mir mit Stolz sein Amulett und ein Heiligenbild russisch-orthodoxer Herkunft.

Bei Schwand war deutsche Artillerie aufgefahren gegen Westen. Offenbar sollte der Übergang über die Rednitz verwehrt werden. Auch hierher kamen zwei Geschütze und stellten sich vor dem Pfarrhaus auf. Keine angenehme Nachbarschaft, da die Tiefflieger nur so herumschwirrten und auf jedes Auto schossen, wobei ein früheres Gemeindeglied, Frau Vitzethum in Schwand, ums Leben kam, auf dem Felde Kartoffeln steckend von einer Maschinengewehrkugel ins Herz getroffen. Ich fragte die Mannschaft, warum sie nichtweiter fahren. Antwort: Wir haben kein Benzin mehr. Am Nachmittag kam das Benzin von Roth und sie gingen im Wald vor Schaftnach in Stellung. Frauen beschworen sie: ihr werdet doch nicht schießen! Antwort: „Ihr braucht keine Angst zu haben: wir schießen nicht, wir haben keine Munition".

In den letzten Tagen vor der Ankunft der Amerikaner setzt von Nürnberg her eine Gegenbewegung ein. Russische und französische Gefangene aus den dortigen Lagern ziehen eine ganze Nacht lang durch den Ort. Eine geschlossene deutsche Abteilung bezieht hier Quartier, marschiert aber bald wieder ab Richtung Furth. Dann kommen nur noch kleine Trupps oder einzelne Soldaten. Manche haben ein Gewehr umhängen, andere eine Pan­zerfaust. Von Panzerwagen keine Spur. Alles in allem ein trauriger Anblick. Man hat den Eindruck: die deutsche Wehrmacht ist in völliger Auflösung begriffen. Die deutschen Flugzeuge sind von der Bildfläche verschwunden.

Montag, 16. April: Von allen Seiten hört man starke Detonationen. Brücken werden gesprengt in Penzendorf, Katzwang; das riesige unterirdische Munitionslager bei Feucht-Röthenbach. Nachts kann man vom Dachboden aus das Mündungsfeuer der Geschütze östlich von Nürnberg aufblitzen sehen.

Dienstag, 17. April: In Großschwarzenlohe sind an den Ortsausgängen Baumstämme angefahren, um Panzersperren zu errichten. Aber es kommt nicht mehr dazu. Hier sind an der Straße beim Eichenbühl Stellungen für Panzerfaustwerfer gegraben. Aber es sind weder Panzerfäuste da noch Leute, die sich dazu hergeben möchten, sie zu werfen. Der Volkssturm rührt sich nicht: das Klügste, was er unter den gegebenen Umständen tun kann. Die Maul­helden, die eben noch geprahlt haben, sie werden schießen, verstummen.

Mittags kommt ein hiesiger Arbeiter von Nürnberg und erzählt, die Amerikaner seien in Worzeldorf. Aus dem Kreis der Umstehenden wird ihm bedeutet, er solle schweigen und nicht so dummes Zeug reden. Ich gehe ihm nach und erkundige mich näher. Er bleibt dabei. Er sei in Worzeldorf an der Kanalbrücke von einem amerikanischen Posten kontrolliert worden und im Lorenzer Reichswald in Granatfeuer geraten. Nun wissen wir, daß sie wahr­scheinlich heute noch da sein werden.

Um 1/2 3 Uhr nachmittags hört man von der Straße her rufen: sie kommen. Wir eilen ans Fenster und sehen, wie die Panzerwagen in langer Reihe die Straße herauffahren und dann halten, die Schützen die Hand am Abzug des Maschinengewehrs und scharf die Fenster beobachtend. Man sieht sogleich, daß es sich um eine Elitetruppe handelt, durchwegs große stattliche Menschen und vorzüglich ausgerüstet im Gegensatz zu den deutschen Truppen, die wir gesehen hatten. Der Bauer Johann Volkert Nr.21 hatte bei ihrem Herannahen von Großschwarzenlohe her ein weißes Tuch geschwenkt zum Zeichen, daß die Ortschaft sich übergebe. Sie wählten trotzdem nicht den direkten Weg, sondern fuhren über Wiesen und Felder zur Schwabacher Straße und zogen von dort aus ein.

Binnen kurzem wurde bekannt gegeben, daß die Befehlsgewalt an die Militärregierung übergegangen sei und daß ihren Anordnungen unbedingt Folge zu leisten sei. Waffen aller Art, Photoapparate, Feldstecher seien sofort beim Bürgermeister abzuliefern. Wohl oder übel mußte man sich fügen. Vorsichtige hatten Geld und Wertsachen rechtzeitig versteckt oder vergraben.

Am gleichen Tag wurde Schwand besetzt. Der Führer der hier verbliebenen Abteilung, ein Captain, nimmt mit 2 Offizieren im Pfarrhaus Quartier. Sie benehmen sich reserviert, aber nicht unfreundlich, der eine, ein Methodist, eher freundlich. Vom Pfarrhaus aus werden sofort Fernsprechleitungen gelegt, die Ortsausgänge mit Panzerwagen gesichert. Ein deutscher Soldat aus Unterfranken versucht den Wald nach den Kohlenplätzen hin zu erreichen und wird von der Schwander Straße aus unter Feuer genommen und erschossen. Ein anderer aus dem Salzburgischen, schon in Civilkleidung, sucht Unterkunft im letzten Haus nach Furth hin bei Fritz Brenner, wird von einem Posten angeschossen und als er jämmerlich um Hilfe ruft erschossen (Genfer Convention!!). Überhaupt wird in dieser Nacht viel aus schweren Panzern geschossen. Wohin und wozu, weiß man nicht. Vielleicht aus Angst, es möchte aus den Wäldern heraus ein Angriff kommen. Da wegen der Kampfhandlungen der katholische Expositus in Wendelstein nicht verständigt werden kann, werden die beiden Gefallenen von dem Ortsgeistlichen eingesegnet. Das Grab liegt gleich links vom Eingang in den Friedhof an der Mauer. Der Unterfranke wurde später exhumiert und in die Heimat überführt.

 

Mittwoch, 18. April: Es erscheint der Bauer Konrad Meyer und meldet, daß in seinem Luftschutzbunker 2 tote Russen liegen. Es handelt sich um gefangene russische Offiziere, die durch den Vormarsch der Amerikaner frei geworden sind. Aus dem Walde kommend gingen sie offenbar in den Bunker, um von da aus zu erkunden, ob die Ortschaft von Amerikanern oder Deutschen besetzt sei. Der amerikanische Posten, der bei dem Anwesen des Bauern Georg Maul stationiert war, sieht sie kommen und in der Meinung, es handle sich um deutsche Soldaten, schießt er ohne Anruf in den Bunker hinein und tötet die beiden. Dem Captain ist die Sache sichtlich unangenehm, weil es um Alliierte geht. Aber es ist geschehen und im Krieg gelten 2 Menschenleben nicht viel. Ich glaube nicht, daß der Posten zur Rechenschaft gezogen wurde. Die beiden wurden von Kameraden, die zuerst sehr empört wa­ren, weil sie meinten, die Deutschen hätten es getan, am hohen Rain beerdigt. Auf das Grab setzten sie nicht ein Kreuz, sondern einen Pfahl mit einem Schild, auf das unter Sichel und Hammer in russischer Schrift, die nicht entziffert werden konnte, die Namen geschrieben waren.

Auch in Furth liegen zwei gefangene russische Offiziere begraben und zwar jenseits der Brücke an der Straße nach Schwand. Sie hatten mit anderen Kameraden im Walde biwakiert, jedenfalls Feuer angemacht, wodurch sie die Aufmerksamkeit eines deutschen Flugzeugs erregten, von dem aus sie beschossen und die beiden getötet wurden. Der Vorfall geschah in der Nacht.

Es erscheint der Nachbar Müller und meldet, daß sein Wald brennt und bittet um die Erlaubnis, löschen zu dürfen. Ohne Erlaubnis darf ja niemand die Ortschaft verlassen. Im Keller des Nachbarn Mederer halten sich noch ungarische Soldaten versteckt. Die Frau ist voller Angst und weiß nicht, was sie tun soll. Bei dem Bauer Johann Volkert werden in der Scheune Waffen gefunden, die deutsche Soldaten ohne sein Wissen dort versteckt haben. Die Tochter des Pfarrers fungiert als Dolmetscherin, trägt diese Angelegenheiten dem Captain vor und kann so manchem einen guten Dienst erweisen. Auch dem Bürgermeister Haiger, der als Nazi verhaftet werden soll. Sie versichert, daß er der Gesinnung nach kein Nazi gewesen sei und er bleibt unbehelligt.

Vom Friedhof aus kann man beobachten, wie amerikanische Flugzeuge über Schwabach kreisen und Bomben abwerfen. Man fragt sich: ist Kreisleiter Engelhardt so verbohrt, daß er Schwabach noch verteidigen und der Zerstörung aussetzen will? Von Nürnberg her ist starker Kanonendonner zu hören. Dort wird offenbar gekämpft.

Der Pfarrer erbittet und erhält vom Captain die Erlaubnis, nach Großschwarzenlohe zu gehen, um nachzusehen, wie es dort zugeht. Großschwarzenlohe hat keine amerikanische Einquartie­rung. Die Panzer sind nur durchgezogen. Aber eben treffen befreite schwarze Franzosen ein, die sich hier niederlassen wollen und von denen bekannt ist, daß sie hinter den Mädchen her sind. Der Pfarrer geht in die Häuser, wo Mädchen sind und warnt, sie sollen sich nicht sehen lassen. Nach einiger Zeit trifft er ein weinendes Mädchen an. Sie ist trotz Warnung auf die Straße gegangen und von Schwarzen belästigt worden. Vergewaltigungen kommen in der Gegend häufig vor, hört man u. a. auf dem Königshammer. Auch hier versucht - später - ein schwarzer amerikanischer Soldat eine junge Frau aus Hamburg zu vergewaltigen, es gelingt ihr aber, ihm zu entrinnen. Der Pfarrer gibt von der Kanzel bekannt, die Frauen sollen, wenn eine solche Gefahr droht, ins Pfarrhaus oder in die Kirche flüchten, die offen gehalten wird.

Es geht ein Gerücht, daß SS aus Richtung Roth einen Gegenstoß unternehmen werde. Glücklicherweise bewahrheitet sich das Gerücht nicht.

Donnerstag, 19. April: Die einquartierte Truppe zieht ab nach Schwand zu. Aber neue Einquartierung folgt ihr auf dem Fuße: Artillerie. Hinter dem Friedhof etabliert sich ein großes Lager fast bis zum Wald hin, ebenso am Ratzenwinkel. Ein Teil der Mannschaft biwakiert in Zelten. Im Pfarrhaus läßt sich ein „Headquarter" (Divisionsstab) nieder. Ein Offizier kommandiert: Close! Alles abschließen! Das Haus ist bis zum Dachboden hinauf belegt. Doch darf der Pfarrer im Hause bleiben mit seiner Familie und Amtszimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer stehen ihm zur Verfügung. Da gleichzeitig die Ortskommandantur sich im Hause befindet, geht es zu wie in einem Taubenschlag. Amerikaner, Franzosen, Russen, Polen gehen ein und aus. Deutsche Gefangene werden einge­bracht und werden Tag und Nacht in der Waschküche von einem Dolmetscher verhört. Nicht einmal Wasser soll ihnen gereicht werden. Es geschieht aber doch. Die Offiziere zeigen sich feindselig, behandeln den Pfarrer und seine Familienangehörigen als Luft. Nur mit dem Dolmetscher kommt man ins Gespräch. Er bekennt, daß ihm seine Tätigkeit keine Freude macht. Ein Soldat redet den Pfarrer an:„lch Lutheraner, Du lutherischer Pastor. Warum du Nazi?,, „Ich war nie Nazi, sondern Nazigegner". Der Soldat:

„Wenn nicht Nazi, du nicht hättest in diesem Haus bleiben dürfen".

 

Ein Nürnberger Weinhändler, Hörl, aus Schwand stammend, hatte seine Vorräte dorthin verlagert. Vor Einmarsch der Amerikaner wird der Wein freigegeben und es wird viel herübergeholt, zuerst gegen Bezahlung, dann ohne Bezahlung. Nun tun sich die Amerikaner gütlich daran. Franzosen und Polen holen sich in Schwand so viel sie wollen. Dort fließt der Wein immer noch in Strömen. Unter dem Einfluß des Alkohols kommt es verschiedentlich zu Exzessen in der Ortschaft.

Im Schlafzimmer, das versehentlich kurze Zeit offen geblieben ist, d.h. unverschlossen, findet man einen baumlangen Menschen in amerikanischer Uniform seelenruhig im Bett schlafend. Ein herbeigeholter Offizier weist ihn aus dem Zimmer. Als man nachsieht im Schrank, fehlen 2 goldene Damenuhren und 500 M. Der hiervon verständigte Offizier erklärt: „Das war kein Amerikaner. Amerikanische Soldaten stehlen nicht" und tut nichts, um uns wieder zu unserem Eigentum zu verhelfen. Sie haben bei anderen, u. a. bei einer Witwe, die ihr Geld im Ofen versteckt hatte, noch weit größere Beträge mitgehen lassen.

Freitag, 20. April: Wer denkt noch an den Geburtstag des „Führers"? Die Einquartierung zieht ab. Über Nacht ist den Offizieren die im Garten aufgehängte Wäsche gestohlen worden. Das Haus sieht übel aus und muß vom Boden bis zum Keller gescheuert werden.

Samstag, 21. April: Bei regnerischem Wetter marschiert Infanterie durch den Ort in 2 Reihen, je eine links und rechts der Straße, so daß Raum bleibt für die Fahrzeuge. Sehr vernünftig und praktisch. Am Abend steht ein Sergeant mit 30 Mann da und begehrt Quartier für sich und seine Leute. Nach langen Verhandlungen, die von den durchnäßten Soldaten mit Flüchen und Verwünschungen begleitet werden, läßt Winnetou - so nennen wir ihn wegen seines indianerhaften Aussehens - übrigens ein selten anständiger Kerl -sich bewegen, von seiner Absicht abzustehen und anderswo Quartier zu nehmen. Die Quartiergeber waren sehr zufrieden mit ihm und seinen Leuten.

Sonntag, 22. April: Von früh bis spät fahren Panzer durch in ununterbrochener Kolonne, darunter Kolosse, unter deren Gewicht der Boden erzittert. In der Kirche fällt an verschiedenen Stellen durch die Erschütterung der Verputz von der Decke. Es muß eine ganze Panzerarmee gewesen sein. Der Gottesdienst wird aber gehalten wie immer.

Am Nachmittag stellt sich als Quartiermacher ein Captain ein, allem Anschein nach jüdischer Emigrant und teilt mit, daß wir binnen 1 Stunde das Haus räumen müssen. Es soll wieder ein head-quarter hereinkommen. Wir halten ihm vor, daß doch die Pfarrhäuser von Einquartierung verschont bleiben sollen, wie es tatsächlich auch in der Umgebung (Wendelstein, Kornburg, Schwand) geschah. Er antwortet: „Sie haben das Pech, ein unver­schämt schönes Pfarrhaus zu bewohnen, das sich ausgezeichnet für unsere Zwecke eignet." Mit Mühe ist zu erreichen, daß das Arbeitszimmer ausgenommen wird und verschlossen werden darf. Hier werden die wertvollen Sachen untergebracht: Vasa sacra, Kirchenbücher, Geld. Diesmal muß außerdem alles unverschlossen bleiben. „Sonst brechen die Leute es auf". In Eile werden die Koffer gepackt und zu Nachbar Wild geschleppt. Frau und Tochter nächtigen zuerst bei Volkert Nr. 21, siedeln dann aber auch, weil Russen dort ihr Unwesen treiben, zu Wild über, wo wir zu dreien in einer Dachkammer hausen.

 

Dienstag, 24. April: Der letzte Offizier, ein Oberstleutnant verläßt das Haus, nachdem die anderen schon am Abend vorher abgezogen sind. Er kommt persönlich zu Wild und teilt mir das mit, bedankt sich sogar, was sonst keinem eingefallen ist. Das Haus sieht noch schlimmer aus als das vorige Mal. Der Keller ist besudelt. Die dort hausten, nahmen sich nicht einmal die Mühe, aufs Closett oder ins Freie zu gehen, um ihre Notdurft zu verrichten. Viele Ge­genstände fehlen. Was ihnen gefiel, nahmen die Gäste mit sich.

Man war auf weitere Einquartierung gefaßt, hatte aber wahrhaftig nichts dagegen, daß sie ausblieb. Es hatte sich herumgesprochen, Leerstetten sei deshalb härter behandelt worden und sei als Nazidorf betrachtet worden, weil die weißen Fahnen fehlten. Ein Haus um das andere hing ein weißes Tuch heraus. Das Pfarrhaus sah davon ab.

Die Franzosen, Polen, Ukrainerinnen strahlen und feiern. Keiner rührt mehr eine Hand zur Arbeit. Doch benehmen sie sich im ganzen anständig. Sie könnten, wenn sie wollten, manchem eines auswischen, aber unterlassen es. Nach einigen Wochen werden sie in ihre Heimat abtransportiert.

Da ist der Kriegssturm, dem viele mit Angst und Bangen entgegensahen, gnädig vorübergebraust. Es war manches zu ertragen. Aber die Ortschaften stehen unversehrt und kein einheimisches Menschenleben ist zu beklagen. Grund genug, dem treuen Hüter im Himmel dankbar zu sein.

Im Juni wird nach längerer Unterbrechung zunächst der Religions­unterricht wieder aufgenommen, der Schulunterricht erst im Oktober und zwar wird ein Flüchtling aus Polen damit betraut und zwar Pfarrdiakon Paul Lettau, der zwar das Lehrerseminar absolviert, nicht jedoch die Anstellungsprüfung gemacht hat und dem darum Oktober 1948 gekündigt wird.

 

1946

Im Juli werden Volksdeutsche Vertriebene aus Ungarn und Jugoslawien hier und in Großschwarzenlohe vom Flüchtlingskommisar in Schwabach eingewiesen. Ihnen folgten im September Vertriebene aus der Tschechei, vornehmlich aus Karlsbad und Umgebung in größerer Zahl. Ihre Unterbringung macht Schwierigkeiten, da noch viele Evakuierte aus Nürnberg hier bzw. in den zur Pfarrei gehörenden Ortschaften wohnen. Sie sind bis auf einen in gemischter Ehe lebenden Mann aus Dresden und dessen Kind alle römisch-katholischer Konfession. Nur in Großschwarzenlohe lassen sich 3 evangelische Familien aus Ostpreußen nieder. Die Vertriebenen finden zum kleineren Teil in den Fabriken in Kleinschwarzenlohe und Sorg, zum größeren in Nürnberg Arbeit und Verdienst, den älteren Leuten wird in großzügiger Weise Unterstützung gewährt, so daß sie im allgemeinen mit ihrem Los sich abfinden können. Nach kurzer Zeit stehen sie z. B. in der Kleidung ganz anders da, als bei ihrer Ankunft. Sie sehnen sich aber doch nach ihrer Heimat zurück. Es ist aber anzunehmen, daß nicht wenige es vorziehen würden, zu bleiben, wenn ihnen die Genehmigung zur Rückkehr erteilt würde. Auch im Pfarrhaus wurde eine Flüchtlingsfamilie aus Jugoslawien untergebracht und nach Abzug einer evakuierten Familie aus Nürnberg eine zweite aus Karls­bad, so daß nun 4 Räume belegt sind.

 

1949

Ein Kriegsgefangener nach dem anderen ist seit Kriegsende aus amerikanischer, englischer, französischer, russischer Gefangenschaft heimgekehrt. Als letzter, von dem Nachricht vorliegt, kommt am 17. Dezember Leonhard Schmidt von Großschwarzenlohe Nr. 10 zurück. Einige der Rußlandheimkehrer, Konrad Feuerstein, Johann Heider, beide Leerstetten, bedürfen einer längeren Erholung. Die anderen befinden sich in verhältnismäßig guter Verfassung und manche nehmen sehr bald die gewohnte Arbeit wieder auf. Alle finden sich schnell in der Heimat wieder zurecht und von der vielen Heimkehrernot ist hier kaum etwas zu bemerken.

Das Fazit, das wir Spätere ziehen dürfen: Gott hat sich dieses kleinen Dörfchens zwischen Sorg und Harm, das mittlerweile zu einer stattlichen Siedlung herangewachsen ist, tatsächlich gnädig erbarmt, nicht nur in den Jahren des zweiten Weltkrieges, sondern in den ganzen 800 Jahren, die wir heuer zu überblicken in der Lage sind. Danken wir alle ihm von Herzen dafür und bitten wir ihn darum, daß er uns und unserem fränkischen Dorf seinen Segen und sein Erbarmen auch weiterhin erhalte.

 

Zusammengestellt im November 2010

Alfred J. Köhl

 

Zum Kriegerdenkmal von Leerstetten