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Die Vogelfänger von Nürnberg

Bis ins vorige Jahrhundert hinein war die heute geächtete Jagd des Vogelfangs ein beliebter Sport.
Von Hermann Rusam

Wir können uns heute nur noch schwer vorstellen, dass vom Mittelalter bis in das vorige Jahrhundert, der Fang von Singvögeln • für den anschließenden Verzehr eine der Lieblingsbeschäftigungen der Nürnberger gewesen ist, die geradezu mit leidenschaftlichem Eifer betrieben wurde. Die Erinnerung an dieses eigenartige, Kapitel nürnbergischer Jagdgeschichte ist heute bei der Bevölkerung verblasst, lebendig gehlieben sind allerdings manche Ausdrücke der Vogelfängersprache, wie auf den Leim bzw. ins Netz oder. ins Garn gehen, der Lockvogel oder das Bild der Fäden, die bei einer Person (einst dem Vogler) zusammenlaufen. Die Methoden des Vogelfangs; gelangten wahrscheinlich aus dem Süden Europas nach Mitteleuropa. Der bekannte  Jagdhistoriker Kurt-Lindner hält den Vogelfang für eine jener Techniken, die die Römer einst nach Germanien gebracht hatten.
 
Der Vogelfang erfolgte auf dem sogenannten Vogelherd. Dieser war in den meisten Fällen ein mehr oder weniger ovaler, künstlicher Hügel, den man oben geebnet hatte. Seine Länge betrug vielleicht 5 bis 30 Meter, seine Breite 3 bis 8 Meter. Ein flacher Graben umgab meist die Anlage. Bisweilen mag sich in nächster Nähe eine kleine Vogeltränke befunden haben. Das Grundwort-herd ist für uns  heute allerdings nicht.mehr so recht verständlich, denken wir dabei doch sofort an eine Art Feuerstelle. Die ursprüngliche Bedeutung war aber Erde, Boden.
 


Auf dem Erdaufwurf stand seitlich das mit Zweigen verkleidete Vogelfängerhäuschen. Es enthielt meist zwei •Räume. Der eine Raum beherbergte die Netze, die Käfige mit den Lockvögeln. und sonstigen Utensilien des Vogelfängers. Vom zweiten Raum aus hatte, man durch kleine Wandöffnungen den freien Blick auf den Fangplatz. Durch diese Löcher liefen auch .die Zugleinen (Fäden) zum Zusammenziehen der beiden Netzwände, deren Längsenden mit Stäben versteift waren.
 
Unentbehrlich für den Vogelfänger waren die Lockvögel, meist Buchfinken, denen man mit einem glühenden Kupferdraht die Hornhaut der Augen verbrannt hatte. Die Käfige der geblendeten Vögel hing man in Schränken auf bis die Fangzeit kam. Wenn dann die gequälten Vögel aus der Hütte geholt wurden und die freie Luft spürten, sangen sie so laut und kräftig, dass durch den Gesang viele Vögel herbeigelockt wurden, die dann den Vogelfängern ins Garn gingen.
 
Der Vogelherd' war von niedrigen Büschen umgeben; in denen die Käfige mit den Lockvögeln hingen. Zwischen den Netzen hüpften weitere Lockvögel umher, die an den Füßen festgebunden waren. Zwischen den Schlagnetzen war leckeres Lockfutter; wie Hanfsamen oder Ebereschbeeren, verstreut. Waren genügend Vögel, eingefallen, brachte der Vogelfänger durch einen blitzschnellen Zug an den Leinen die Netze zum Zusammenklappen. Er sprang dann herbei, löste die Vögel aus dem Garn und drückte ihnen die Köpfe zusammen.
 
Der Vogelfang war einst in nahezu allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Bekannt ist die Sage, wonach dem jugendlichen Sachsenherzog Heinrich beim Vogelfang die Kaiserkrone angeboten worden sein soll. Verewigt wurde die Geschichte in dem Lied von Johann Nepomuk Vogl: Herr Heinrich sitzt am Vogelherd, recht froh und wohlgemut,/ Aus tausend Perlen blitzt und blinkt der Morgenröte Glut...
 
Wer reich war - das galt insbesondere für das nürnbergische Patriziat – beschäftigte einen berufsmäßigen Vogler. Im Bericht des Nürnberger Kriegshauptmanns Erhard Schürstab aus dem Ersten Markgrafenkrieg 1449 erfahren wir, wie etliche Vogler umkamen. Item darnach chomen des marggrafen leut … über etlich arm Vogler und ermörten (= ermordeten) und erschlugen sie.
 

Viele frönten dem Vogelfang, weil sie in ihm eine Art Sport sahen; Sie scheuten daher weder die großen Geldausgaben noch den beachtlichen Zeitverlust, den .ihnen dieses Vergnügen abforderte. Am 6. Oktober 1575 schrieb eine Nürnberger Dame, Sabine Behaim, naserümpfend an ihren Bruder über einen Angehörigen der Familie namens Ketzel: Fische, fangen und Vogelstellen / Verdarb schon manchen jungen Gesellen.
 
Um 1580 erließ der Rat der Reichsstadt Nürnberg ein Mandat, in dem er seine Bürger tadelte, weil sie zur Herbstzeit nur selten den Gottesdienst besuchten. Sie zogen statt dessen zu ihren Meisenhütten und Vogelherden und versäumten darüber den Gottesdienst, dadurch denn der gerechte Gott um so viel mehr zu Zorn gereizt werden müsse. Der Rat schritt ein: Jede Art von Vogelfang wurde ab sofort zur Zeit des Gottesdienstes verboten. Zuwiderhandelnden wurde eine Geldstrafe von vier Gulden angedroht.

 Auch einfache Leute gaben sich dem Vogelfang hin. Zu den erfolgreichsten unter ihnen gehörte Lienhard Baumeister, seinerzeit Mesner von St. Sebald. Er fing allein am 4. Oktober 1611 auf den Feldern zwischen Mögeldorf und Laufamholz 1122 Kornlerchen. Zwei Männer waren nötig, um sie auf Stangen zum Nürnberger Markt zu tragen. Je fünf Vöglein wurden auf einen Spieß gesteckt und um 10 Kreuzer und 3 Batzen pro Spieß wohlfeil verkauft. Baumeister setzte seine Jagd fort. Am 7. Oktober fing er 1412, am 9. und 10. Oktober je 300 und am 12. Oktober 500 Lerchen. Der Nürnberger Patrizier Hans Starck, der uns in seiner handgeschriebenen Chronik diese Begebenheit überliefert hat, fügte bewundernd hinzu, dass dergleichen Glück kein Vogler dieser Zeit gehabt habe.
 
Im Jahr 1571 erließ der Rat eine Vogelherdordnung. Gegen eine jährliche Gebühr wurde die Erlaubnis zum Vogelfang in den Nürnberger Wäldern und auf dem Reichsboden, der sogenannten Vogelzettel ausgestellt.

 





Die Zahl der Vogelherde war; seinerzeit außerordentlich groß. Im Pfinzingatlas von 1594 sind für den Sebalder Reichswald 61.und für den Lorenzer Reichswald 33 Vogelherde eingetragen. Nach dem letzten Vogelzettelbuch des Waldamtes Laurenzi für die Jahre 1800 bis 1808 wurden allein im Wald links der Pegnitz 158. Herde unterhalten. Obwohl seit dem 4. August1809, dem Tag der Übergabe Nürnbergs an das neugeschaffene Königreich Bayern, der Vogellang auf dem Papier verboten war, fing man im Herbst 1854 noch 118 Vögel auf Leimruten im Reichswald. Und so vergingen noch viele Jahrzehnte, bis sich die Nürnberger ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung, des Vogelfangs, entwöhnten.
 
Dem Verfasser sind noch über ein Dutzend sichtbare Reste von Vogelherden um Nürnberg bekannt. Der Aufsatz soll nicht schließen, ohne wenigstens den Weg zu einem der besterhaltenen Herde zu weisen: Ab der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 8 in Erlenstegen führt die Markierung Blaustrich den Kohlbuckweg hinauf; Sobald nach etwa 700 Metern die Schrebergärten linker Hand aufhören, kommen wir zum Waldrand. Etwa 150 Meter nach Beginn des Waldes steht rechts eine hohe Eiche. Wir .biegen nun nach links ab. Ein Trampelpfad führt etwa 150 Meter den Kohlbuck hoch, bis wir vor uns einen Jägerstand sehen. Wir biegen jedoch schon vorher vom Weg nach rechts ab. In etwa 20 bis 30 Metern Entfernung stoßen wir auf einen mächtigen Hügel, der von einem seichten Graben umgeben ist. Wir sind am Ziel angelangt, einem der mindestens fünf in der Umgebung von Erlenstegen noch erhaltenen Vogelherde.

Hermann Rusam, Juni 1994

Zusammengestellt und für das Internet aufbereitet im Juli 2013

Alfred J. Köhl