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Elisabeth Engelhardt

Würdigung einer fränkischen Schriftstellerin
von Ingeborg Höverkamp

 

 

 

Sucht man eine Frau, die in der Nachkriegsliteratur Frankens eine hervorragende und bedeutende Rolle spielt, so trifft man auf Elisabeth Engelhardt, Fränkin der Geburt nach und aus Überzeugung.

 

Geboren am 11. März 1925 in Leerstetten als ältestes Kind einer mittelständischen Bauernfamilie (vier Geschwister folgten noch), ließ sie ihre sprachliche Begabung sehr früh erkennen. Bereits als 17jährige verfasste sie ‑ damals Funkerin im Oldenburgischen ‑ Gedichte, die ihre Liebe zur fränkischen Heimat dokumentieren.

 

Vielseitig waren ihre musischen Begabungen. So nahm sie 1946 Malunterricht beim Kunstmaler Heiniger aus Furth, »zwei herrliche Jahre lang, in denen ich eigentlich erst sehen lerntet (Elisabeth Engelhardt in ihren biographischen Notizen aus dem Nachlass). Es sind poetische Bilder, liebevolle Motive aus ihrer Heimat und von ihren zahlreichen Reisen in fast alle europäischen Länder.

 

In ihrem literarischen Werk vermittelt sie uns ein realistisches Bild aus dem bäuerlichen Umland Nürnbergs, dem »sandigen Kiefern‑Bauernland« (Inge Meidinger Geise), der Menschen, die häufig zu Pendlern zwischen ihrem Dorf und der nahen Stadt werden mussten, da der Ertrag der Felder zum Lebensunterhalt nicht ausreichte.

 

Ebenso verdanken wir ihr die Dokumentierung vieler fränkischer Sitten und Gebräuche, so in »Ein Bauernjahr von Lichtmeß bis Lichtmeß«, Gebräuche, die zum Teil im Aussterben begriffen sind.

 

Elisabeth Engelhardts Erzählweise ist oft ein atemloses Staccato, gelegentlich humorvoll, immer wieder ins Surreale gleitend, die Nuancen herb bis poetisch nutzend ‑ unmittelbar ansprechend und nachdenklich stimmend.

 

Ohne große Ermutigung von außen, entgegen aller Widerstände ihrer Umgebung, schrieb sie zwanzig Jahre lang nur »aus sich selbst~" dank ihrer bäuerlichen Zähigkeit. Schüchtern bot sie immer wieder ihre Texte an und erhielt immer wieder Absagen. Doch ihr Glaube an sich selbst und ihr unermüdliches Schaffen ‑ neben ihrem »Brotberuf« als Bühnenmalerin und Dekorationsnäherin an den Städtischen Bühnen in Nürnberg ‑ zahlten sich letztlich aus:

 

1964 erschien ihr erster Roman »Feuer heilt«, ein historischer Rahmenroman, in dem es vordergründig um Hexenverfolgung und Aberglaube geht, letztlich aber um Gottessuche, Persönlichkeitsbefreiung, Emanzipation; ein Thema, das gerade in unserer Zeit hochaktuell geworden ist. Der hochbegabten Autorin wird in diesem Roman ein Erzählstil, der eine gewisse Affinität zu James Joyce Stil aufweist, bescheinigt, obwohl sie nachweislich erst nach Fertigstellung dieses Romans Texte von Joyce gelesen hat.

 

Die ungebrochene Popularität dieses Romans bezeugt eine Neuauflage im Jahre 1987 sowie sein Erscheinen als Fortsetzungsroman in den >~Nürnberger Nachrichten~<. 1967 erhielt sie für »Feuer heilt« den Förderpreis der Stadt Nürnberg.

 

Max von der Grün hat schon früh die außergewöhnliche Begabung von Elisabeth Engelhardt erkannt. So lud er sie nach dem Erscheinen des Romans »Feuer heilt zu der Dortmunder Gruppe 61 ein. Eine Schauspielerin las aus ihrem Roman, da ihre Texte, wenn sie selbst vorlas, nie so richtig zum Tragen kamen.

 

1972 erscheint ihr Erzählband »Johanna geht«, Geschichten über Frauen, die durch ihre Umwelt zu Außenseiterinnen werden. Hier zeigt sich die Stärke der Schriftstellerin, das makaber Düstere, eine Vermischung von Realem und Surrealem, Traum und Wirklichkeit mit ein paar schwarzen Pinselstrichen zu zeichnen.

 

1974, genau zehn Jahre nach dem Erscheinen des Romanerstlings »Feuer heilt«, gelingt die Publizierung des Romans »Ein deutsches Dorf in Bayern«, eine Chronik vom Landverkauf, einer Zersiedelung eines Dorfes, das heimatliche Züge trägt. Es ist ein hochaktuelles Zeitdokument, beginnt man doch in den letzten Jahren immer mehr darauf zu achten, eine behutsamere Siedlungspolitik anzustreben, die Altes liebevoll bewahren und Neues sinnvoll integrieren will. Elisabeth Engelhardt hat einen literarischen Denkanstoß dazu gegeben.

 

Auch dieser Roman spielt vor einer fränkischen Kulisse ‑ beschrieben mit den Augen einer Malerin ‑ die Landschaft ‑ oft in hellen Pastellfarben, die an Bilder von Albrecht Dürer erinnern ‑ das Dorf, urfränkisch bis ins kleinste Detail ‑ angefangen von den Menschen, die darin leben, z. B. die Großmutter mit ihrem Refrain: »Ihr kommt alle in die Höll«, bis zu den lebhaft bunten Sitten bei der Kirchweih und ‑ dem bäuerlichen Sinn für das Praktische, Lebensbezogene bei Beerdigungen.

 

Die Aktualität dieses Romans können wir allein aus der Tatsache erkennen, dass er posthum noch zweimal aufgelegt wurde, nämlich in den Jahren 1986 und 1989.

 

Inge Meidinger-Geise, die mit der Autorin befreundet war, hat sich engagiert ‑ nach dem allzu frühen Tode am 8. August 1978 (sie starb ‑ tapfer bis zuletzt ‑ an den Folgen eines Gehirntumors) dem Engelhardtschem Nachlass gewidmet, der zum Teil im Institut für Fränkische Literatur in Nürnberg gehortet ist und auf weitere Erforschung wartet, zum Teil noch im Elternhaus Engelhardt vorhanden ist. Dank der Nachlassforschung Inge Meidinger-Geises konnte 1983 der Erzählband »Zwischen 6 und 6« Prosa aus dem Nachlass, veröffentlicht werden. In diesen Erzählungen stellt uns die Schriftstellerin die Alltags- und Arbeitswelt, in die oft schicksalhaft eine Wende eintritt, der »kleinen Leute« fränkischer Prägung dar. Die Palette der Nuancen reicht von - ernst, schwarzhumorig bis gleichnishaft, moralisierend - jedoch ohne erhobenen Zeigefinger. Wieder sind es die Frauen, die die Stärkeren sind, deren kleinbürgerliche Größe im Annehmen und der praktischen Bewältigung des Schicksals liegt. Unaufdringlich bietet sich uns die Engelhardtsche Sozialkritik dar, die - ohne störende Kommentare - Zustände bzw. Missstände realistisch beschreibt, keine Lösungsmöglichkeiten anbietet, während z. B. der fränkische Arbeiterdichter Adam Scharrer, gelegentlich seinen Figuren im Dialog Lösungsmöglichkeiten »in den Mund legt«.

 

Zu erwähnen seien noch zahlreiche fachliche und literarische Veröffentlichungen zu Lebzeiten in Anthologien, Rundfunkbeiträgen sowie fundierte Rezensionen z. B. bei den „Nürnberger Nachrichten". Posthum wurden noch die Erzählungen »So leben sie in Nürnberg« und »Am Abend des achten Tages« herausgegeben.

 

Im Nachlass befindet sich ein dritter, unveröffentlichter Roman, ein Fragment, »Waggon zur letzten Instanz«, der an manche ins Irreale mündende Nachkriegsromane erinnert. Doch die Szenen aus dem Krieg gelingen ihr nur klischeehaft, Menschen und Milieu erstarren lediglich in Aktionen. »Die Konstruktion beherrscht die Komposition«. (Inge Meidinger-Geise) Thematisch geht es in diesem Romanfragment um einen so genannten Neureichen, der seine nicht bewältigte Schuld durch den Sohn aufrechnen lassen will.

Elisabeth Engelhardts Werk ist eine Konsequenz ihres Lebens. Nie verleugnete sie ihre bäuerliche Herkunft, die ihr Durchhaltevermögen und Zähigkeit vermittelte, konsequent und unbeirrt ging sie ihren Weg, im Leben wie in ihrem literarischen Schaffen. Sie war eine emanzipierte, hochbegabte Frau. deren Werk in einem Atemzug mit Ludwig Thoma und Oskar Maria Graf, Gerhart Hauptmann und im Falle von »Feuer heilt« mit James Joyce genannt werden darf. In diesem letztgenannten Roman finden wir - ohne überinterpretieren zu wollen - gewisse Charakterzüge der Autorin in der Hauptfigur »Genoveva« wieder. Da ist einmal das Selbstbewusstsein einer emanzipierten Frau, ihre Suche nach gültigen Moralvorstellungen, verbunden mit einer leidenschaftlichen Gottessuche jenseits enger christlicher Klischees, ihr Hang zum Alleinsein, ihre Versuche, >in der Herde unterzuschlüpfen - Elisabeth Engelhardt in ‑Feuer heilt,<.

 

Mit »Genoveva« hat Elisabeth Engelhardt, selbst eine starke Persönlichkeit. eine der großen Frauengestalten in der Literatur kreiert. Die Weite menschlicher Existenz, die alle Grenzen auslotet. überschreitet und letztlich an ihnen zerbricht, kommt in dieser Gestalt zum Ausdruck.

 

Ingeborg Drewitz bezeichnet die Autorin als »zeitgemäßer als die Zeitgemäßen« und spielt damit auf die vorausschauende literarische Thematik an.

 

In ihrem porösen autobiographischen Roman „Ich schenke mir ein Jahr", in welchem die Figur der »Lisa« unschwer als Elisabeth Engelhardt zu entschlüsseln ist, schreibt Inge Meidinger-Geise über die Autorin: »Ins umgibt Lisa immer etwas Knisterndes, als wenn Papier zu brennen anfängt, sie verkörpert mit dem, was sie sagt und liest eine eigene Weit, in der es um das Zwielicht von Wirklichkeit und den hintergründigen Schatten um sie geht.«

 

Lassen wir Elisabeth Engelhardt zum Schluss selbst zu Wort kommen:

 

Die kalten Sterne da oben, hier unten der Stolz.
Auf der Höhe der Zeit, auf dem Boden der Tatsachen,
und nichts, woran wir uns festhalten können.
Ein gangbarer Weg zwischen Hoffnung und Trauer,
unterm flüsterndem Wind, unter herabstürzenden Träumen.«

 

Ingeborg Höverkamp

Artikel im Schwabacher Tagblatt vom 11.08.2018 zum 40. Todestag von Ingeborg Höverkamp

Der Artikel ist im Anhang als *.PDF zum Ausdruck

Literatur:

Inge Meidinger-Geise, Frauengestalten in Franken, Würzburg 1985

Inge Meidinger-Geise, Vorwort zum Erzählband »Zwischen 6 und 6« von Elisabeth Engelhardt, München 1983

Ingeborg Höverkamp

Artikel erschienen in: Heimatliche Streifzüge, Schriftenreihe des Landkreises Roth, Heft 9, Jahr 1990

für das Internet bearbeitet im Oktober 2007/August 2018
Alfred J. Köhl
 

 

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