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In der Schmiede

Erinnerungen aus ihrer Schulzeit  -  von Marianne Ast
 
Die Schmiede, die von uns aus schräg über der Straße lag, dort wo heute die Tankstelle Hertel ist, hatte für uns Kinder eine große Anziehungskraft. Immer war dort etwas los. Sie hatte ihre besonderen Geräusche und Gerüche. Drinnen war es dunkel. Nur zwischendurch stoben Funken auf und es zischte und dampfte.

Schon früh am Morgen ertönte das gleichmäßige Hämmern und Schlagen, wenn der Schmied seine Arbeit begann.
Im Frühjahr war für ihn Hochsaison. Die Bauern des Dorfes und aus der Umgebung hatten viele Geräte zum Ausbessern gebracht, die für die kommenden Feldarbeiten einwandfrei in Schuss sein mussten.
Vor der Schmiede standen und lagen eine Menge verbogener verrosteter Geräte und Werkzeuge herum. Alles sollte ausgebessert oder erneuert werden. Geduldig warteten ein Pflug mit abgebrochenen Teilen, große und kleine Wagenräder, Sensen und Rechen und mehr auf ihre Behandlung. Daneben stand ein Dengelstock. auf dem der Schmied die Sensen und Sicheln der Bauern dengelte.
Oft standen Pferde vor der Schmiede, schnaubend und wiehernd und nicht so geduldig wie die alten Geräte.
Einmal hatten wir auch Arbeit für den Schmied. Das war so um 1950 und ich ging noch zur Schule. An unserem Leiterwagen war der Reifen eines Rades geplatzt und die Holzteile dadurch auseinandergebrochen. Unser Papa hatte alle Teile des Rades zusammengekeilt und nahm den Metallreifen und mich dann in die Schmiede mit, damit ich sah, wie viel Zeit und Anstrengung nötig waren, den Schaden in Ordnung zu bringen.
Neugierig schaute ich mich in der Schmiede um.
Zuerst sah ich überhaupt nichts, weil sich meine Augen erst langsam an die Dunkelheit gewöhnen mussten. Alles in der Schmiede war schwarz: die Wände und die Decke, der Fußboden und die Türen, alle Werkzeuge und auch der Schmied und sein Geselle. Es roch nach Kohlenfeuer und Ruß, nach verbranntem Horn und Schweiß.
Nach und nach gewöhnte ich mich an das dustere Licht. In der Mitte des finsteren niedrigen Raumes standen der Schmied und Geselle am Amboss und schlugen abwechselnd auf ein rotglühendes Hufeisen, dass die Funken nur so stoben.
Auf einer gemauerten Plattform, der Esse, schwelten Kohlen, von denen Qualm und Ruß zum offenen Schlot hinauszogen. An den Wänden ringsherum hingen Zangen, Haken und Hämmer in verschiedenen Größen und vieles mehr an Werkzeug und Geräten. Am Boden lagen und standen Stangen und Rohre andere Eisenteile in allen Längen und Stärken herum. In Kisten warteten Nägel in jeder Größe auf ihren Einsatz. Nahe am Feuer hing ein Blasebalg, der zum Feueranfachen oft nötig war.
Das Hufeisen, das gerade in Bearbeitung war, hatte jetzt die richtige Form für den Pferdefuß. Das Pferd stand und scharrte noch vor der Schmiede. Der Geselle hob den Fuß des Pferdes an und der Meister säuberte sorgfältig das Horn und schnitt es zurück Dann konnte er das heiße Hufeisen anpassen. Es stank fürchterlich, als die oberste Schicht des Horns dabei verbrannte. Das Eisen passte wie angegossen und nun wurde es mit Hufnägeln festgenagelt Bis das Pferd an allen Hufen neue Eisen hatte, verging eine Stunde. Doch endlich war es geschafft und das Pferd konnte auf neuen Schuhen wieder gut laufen.

Jetzt war der Meister für uns frei. Er besah sich prüfend unseren Reifen und überlegte wohl, ob sich eine Reparatur noch lohnte. Anscheinend kam er zu der Meinung, dass das Rad nach fachmännischer Bearbeitung unseren Leiterwagen wieder rollen lassen könne. Er gab dem Gesellen kurze Anweisungen und dieser machte sich an die Arbeit
Der Geselle legte Kohlen nach und fachte das Feuer wieder an. Als es auf der Esse glühte und knisterte, hielt er unseren gebrochenen Metallreifen mit einer langen Zange in die Glut Bald leuchteten beide Enden feuerrot Auf dem Amboss schlug er auf die heißen glühenden Teile ein, bis der Reifen wieder rund und wie zusammengewachsen aussah. Dem Gesellen rann der Schweiß in Bächen vom Hals ins Hemd. Trotzdem machte er weiter. Er packte den glühenden Reifen wieder mit seiner Zange. und legte ihn um das Holzrad. Mit einem großen Hammer schlug er den Reifen fest.
Danach musste er ganz schnell zwei lange Zangen nehmen, um unser Rad mit dem Reifen in eine Wanne mit kaltem Wasser zu tauchen. Sofort dampfte und zischte es, bis das Eisen abgekühlt war. Jetzt saß der Reifen wieder fest wie angegossen. Die Arbeit war beendet.
 
Ich hatte alles aufmerksam verfolgt und mir dämmerte, sogar in der finsteren Schmiede, dass die Handwerker damals ihre ganze Kraft zur Ausübung ihres Berufes einsetzen mussten.
In den Jahren nach dem Krieg hatten die elektrischen Maschinen noch nicht überall Einzug gehalten. Erst Jahre später kam die Industrialisierung auch auf dem Land an. Danach wurden viele handwerkliche Betriebe geschlossen und die meisten Handwerksberufe kennt man heute nicht mehr.
 


Die Schmiede Hertel war bis 1964 in Betrieb.

Schwanstetten im April 2014

Alfred J. Köhl